Führung und Rudelverhalten
Wie können wir unser Gruppenverhalten am besten verstehen? Aufschluss über ein paar grundlegende Spielregeln geben uns unsere nächsten Verwandten: Am Rudelverhalten von Affen lassen sich wichtige Aspekte stabiler hierarchischer Führung gut darstellen: Wenn Sie freilebende Makaken (eine asiatische Affenart) aufmerksam beobachten, würden Ihnen drei zentrale Merkmale innerhalb des Rudels auffallen, die wir heute bei allen sozialen Lebewesen vom Typ „Raufbold“ finden: Rangordnung, Kooperation und Konkurrenz.
In Österreichs südlichsten Bundesland, Kärnten, lebt ein Makaken-Rudel in einem 40.000 m2 großen Areal, bestehend aus rund 160 Tieren, dessen Chef, „Max“, seit 15 Jahren die Gruppe anführt. Es ist sehr erstaunlich, wie lange Max sich in seiner Position behaupten kann und wie stabil die Rollenverteilung im gesamten Rudel zu sein scheint. Es gibt natürlich immer wieder kurze Scharmützel zwischen den einzelnen Affen. Im Großen und Ganzen aber scheint das Leben im Rudel friedlich und harmonisch zu verlaufen.
Auf den ersten Blick ist die Rangordnung innerhalb des Rudels die bestimmende Auffälligkeit. Sie ergibt sich aus den Unterschieden zwischen den Individuen und trägt maßgebend zur Stabilisierung, Sicherheit und Energieschonung innerhalb der Herde bei. Bei kollektivem Hunger oder Bedrohung von außen kommt es zur Ausbildung einer engen Kooperation, um gemeinsam zu jagen oder Angreifer zu bekämpfen. Zu welchem Zeitpunkt und mit welcher Strategie eine Kooperation innerhalb des Rudels entsteht, wird maßgeblich von Max und seinem Verhalten bestimmt: Greift er an, greifen auch die anderen an; flieht er, fliehen auch die anderen, und stellt Max sich tot, weil er (beispielsweise bei permanenter Bedrohung) keinen Ausweg mehr sieht, so folgen ihm alle anderen mit ausgeprägter Passivität.
Führung 1.0 scheint demnach nichts anderes als ein „copy – paste“ Verhalten zu sein und sorgt dafür, dass man dem – momentan akzeptierten – Chef ohne zu zögern einfach folgt. Selbst in der Menschenführung gilt dieses Prinzip, und es bedeutet, dass man Veränderung bei anderen effizient nur durch entsprechend sichtbares Verhalten bei sich selbst nachhaltig wirksam auslösen kann. Will ich die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sich ein Mitarbeiter verändert, muss ich zuvor mein eigenes Verhalten verändern!
Der große Nachteil im Vergleich zum Modell „Fischschwarm“: Funktioniert Max nicht (mehr), ist das gesamte Rudel in Gefahr. Ein nicht respektierter, zögernder, unsicherer oder verletzter Chef würde im Krisenfall unkoordiniertes Verhalten des Affenrudels zur Folge haben. Um dem entgegen zu wirken, gibt es ein permanentes „Training“ für Max, das verhindern soll, dass er zu bequem wird und sich auf seinen Privilegien auszuruhen beginnt: die Konkurrenz innerhalb des Rudels. Besteht gerade keine akute Bedrohung, und sind alle satt und zufrieden, so wird es spannend: Dann beginnt sich das Affenrudel nämlich mit sich selbst zu beschäftigen. Plötzlich geht es wieder um Rang und Privilegien, um Nahrung und Sexualpartner; es wird gestritten, geprügelt und geprotzt. Konkurrenz als vermeintlich destabilisierender Faktor innerhalb der Gruppe wird immer dann sichtbar, wenn kein gemeinsames Ziel außerhalb des Rudels verfolgt wird, und sorgt dafür, dass umgehend ein „Feind“ innerhalb der Gruppe gesucht wird: Im Rudel bilden sich sofort Allianzen. Der Auslöser ist, wie auch bei der Kooperation, Aggressivität. Selbst bei einem Überangebot an Nahrung und Weibchen hat die Natur einen Weg gefunden, um „zu hohe“ Stabilität – und damit Stagnation im Sinne der „Gesamtfitness“ – zu verhindern: Neid; das Motiv, unbedingt haben zu wollen, was ein anderer hat. Etwas, von dem man glaubt, dass es eigentlich einem selbst zusteht.
Aggression und das Belohnungssystem sind in diesem Fall die biologischen „Antreiber“ im Gehirn, die beim möglichen Erreichen des höheren Rangs oder beim erfolgreichen Ergattern des ranghöheren Weibchens Belohnung durch Dopaminproduktion versprechen.
Konkurrenz ist daher keinesfalls negativ zu sehen, sondern vielmehr als einer der wichtigsten „Motoren“ zur Erhaltung und Weiterentwicklung eines Kollektivs, wobei die Balance zwischen Kooperation und Konkurrenz den langfristigen Erfolg sichert.
Wir halten fest: Kollektives Handeln wird sehr effizient ausgelöst durch ein klares Ziel-, oder Feindbild, ein starkes Motiv zum gemeinsamen Handeln. Gibt es ein solches außerhalb des Rudels nicht, so findet sich eines innerhalb der Gruppe und sucht schnell Verbündete für die Erreichung dieses neuen Ziels. Besonders auffällig wird es im Affenrudel immer dann, wenn Max gerade nicht da ist, oder nicht mehr die nötige Akzeptanz hat – wenn er also nicht mehr präsent ist.
Eine spannende Frage ist, warum gerade Max das Alphatier der Herde wurde und es auch bereits über einen so langen Zeitraum bleiben kann. Als Antwort drängt sich das „Gesetz des Stärkeren“ förmlich auf: „Max ist der Stärkste seines Rudels, und Futter und Weibchen werden ihm aus Angst vor einer Tracht Prügel einfach überlassen. Stabil bleiben die Machtverhältnisse, solange er kräftig und aggressiv ist, und keine Zweifel an seiner Stärke aufkommen.“ Klingt plausibel, aber bei genauerer Betrachtung ist es, selbst bei Affen, nicht ganz so einfach: Nachdem Max, als starkes, cleveres und aggressives Männchen, seinen Vorgänger als Chef verdrängt und damit Rang und Privilegien „geerbt“ hat, wird er für aufstrebende Jungtiere besonders interessant. Alpha-Tiere haben natürlicherweise die höchste Konkurrenz, da viele kräftige Jungtiere von den Privilegien um Futter und attraktive Weibchen magisch angezogen werden. Alpha-Tiere sind durch die Vielzahl an ähnlich starken „Mitbewerbern“ am Leichtesten zu ersetzen, da die potentiellen Anwärter ständig üben und trainieren. Sie wollen schließlich irgendwann selbst die Führerschaft übernehmen. So wird Max zum Vorbild und Feindbild gleichzeitig, er wird verstärkt beobachtet und sein Verhalten in der Hoffnung, dadurch erfolgreicher zu sein, kopiert: Er wird zum „Role Model“. Das betrifft nicht alle Rudelmitglieder, führt aber zum Auslösen eines Rudelphänomens, das uns erklärt, warum letztendlich alle fliehen, wenn Max das Weite sucht: Flieht Max, löst er bei seinen wichtigsten Beobachtern, dem Alphaweibchen und den wichtigsten Anwärtern auf seine Nachfolge, den Nachlaufreflex des uralten „Fischschwarm-Programms“ aus. Wird beobachtet, dass die ranghöchsten Affen kreischend abhauen, rennt der Rest der Meute ahnungslos, aber ebenfalls kreischend, hinterher.
Quelle: AFNB Akademie für neurowissenschaftliches Bildungsmanagement
0 Kommentare