Die Macht der Gewohnheit
Gewohnheiten: Fluch oder Segen?
Gewohnheiten sind grundsätzlich etwas sehr Nützliches. Sie führen uns sicher durch den Alltag und durch unser Berufsleben. Sie helfen uns bei Entscheidungen und machen es möglich, dass wir komplexe Prozesse wie z.B. Autofahren fast automatisch vollziehen. Andererseits verhindern Gewohnheiten auch viele Dinge. Vor allem dann, wenn es darum geht, schlechte Verhaltensweisen abzulegen oder neue Wege zu gehen. Die Konsequenz ist, dass wir schon einmal die eine oder andere Chance verpassen oder Verbesserungen im Keim ersticken. Dies geschieht umso häufiger, je weniger wir die Routineregeln unseres Gehirns kennen oder verstehen. Um zu verstehen, wie Gewohnheiten ablaufen, müssen wir zunächst einmal wissen, wie sie entstehen und was sich dabei in unserem Gehirn abspielt.
Mit Hilfe der modernen bildgebenden Verfahren lässt sich erkennen, z.B. wenn ein Mensch Autofahren lernt, dass am Anfang der präfrontale Cortex sehr aktiv ist. Der Grund ist, dass dort das Zentrum unseres Bewusstseins sitzt, und wer gerade mit dem Autofahren beginnt, muss sich sehr stark konzentrieren, jede Entscheidung durchdenken und jede Handlung bewusst durchführen. Das beginnt beim Anlegen des Sicherheitsgurtes und geht bis hin zum Gangeinlegen und Losfahren. Von Fahrstunde zu Fahrstunde werden wir dann besser, was nichts anderes bedeutet, als dass unser Gehirn die für das Autofahren notwendigen neuronalen Verbindungen aufbaut und nach und nach immer stärker festigt. Gleichzeitig wandert die Fähigkeit des Autofahrens immer weiter ins Hirninnere, und die Aktivitäten des präfrontalen Cortex, also unseres Bewusstseins werden schwächer, bis sich dann letztendlich die Fähigkeit Autofahren als Gewohnheit im limbischen System festsetzt.
Der Verkehrswissenschaftler Michael Schreckenberg von der Universität Duisburg-Essen formulierte es einmal so: Auf Routinestrecken schalten Autofahrer das Großhirn, also den Verstand, gerne einmal aus. Was sich zunächst als sehr gefährlich anhört, macht aber durchaus Sinn. Dadurch, dass wir das Autofahren automatisieren, also zur Gewohnheit werden lassen, kann unser Gehirn die freigewordenen Kapazitäten besser nutzen und sich auf das Wesentliche konzentrieren. Das ist auch einer der Gründe, warum Fahranfänger häufiger in Unfälle verwickelt sind als erfahrene Autofahrer, vorausgesetzt, die Routine führt nicht zu Leichtsinn. Haben wir es erst einmal geschafft, eine Fähigkeit oder eine Tätigkeit zur Gewohnheit werden zu lassen, also sie im limbischen System zu verankern, bleibt sie dort ein Leben lang erhalten. Handelt es sich hierbei um eine schlechte Gewohnheit, ist es sehr schwer, sie wieder rückgängig zu machen oder in positive Gewohnheit umzukehren.
Probieren Sie einmal folgendes aus: Falten Sie einmal Ihre Hände so, als wenn Sie beten wollten. Wie fühlen Sie sich dabei? Wahrscheinlich fühlen Sie sich gut und entspannt. Jetzt ändern Sie bitte einmal die Position der Daumen. Der Daumen, der oben liegt, kommt nach unten und umgekehrt. Wie fühlen Sie sich jetzt? Wahrscheinlich haben Sie jetzt ein unangenehmes oder ungewohntes Gefühl. Bis wir uns an eine solche neue Haltung gewöhnen und sie nicht mehr als ungewohnt oder unangenehm empfinden, dauert es ca. zwei Wochen. Bis dahin sendet unser limbisches System permanent Alarmsignale an unser Bewusstsein, dass irgendetwas nicht stimmt bzw. nicht in Ordnung sei. Dies fand u.a. die US-Psychologin Dawna Markova heraus. (1) Wenn eine solche relativ unbedeutende Gewohnheitsänderung schon zwei Wochen braucht, dann kann man sich leicht vorstellen, warum es so schwierig ist, statt Süßigkeiten lieber Obst zu essen, statt abends ein Bierchen lieber Mineralwasser zu trinken oder statt auf der Coach zu sitzen und fernzusehen, sich sportlich zu betätigen. Gewohnheiten können also Veränderungsprozesse stark behindern. Dies trifft aber nicht nur bei privaten, sondern auch bei beruflichen Themen zu.
Gewohnheiten verhindern Veränderungsprozesse
Der Gehirnforscher Prof. Dr. Erst Pöppel von der Universität München hat einmal errechnet, dass wir täglich bis zu 20.000 Entscheidungen treffen.(2) Diese hohe Zahl erscheint auf den ersten Blick unglaublich. Auf den zweiten Blick ist sie jedoch nachvollziehbar: Greife ich jetzt zur Kaffeetasse oder erst etwas später? Ziehe ich erst den linken oder erst den rechten Schuh an? Stecke ich den Haustürschlüssel in meine Jackentasche oder stecke ich ihn in meine Hosentasche? Jeder Handlung und jeder Tätigkeit geht eine Entscheidung voraus, die wir allerdings überwiegend unbewusst treffen, eben aus Gewohnheit. Müssten wir jede dieser rund 20.000 Entscheidungen im Einzelnen bewusst durchdenken, wären wir sehr schnell völlig handlungsunfähig.
Gewohnheiten haben aber noch einen weiteren Vorteil: Gewohnheiten vermitteln uns ein Gefühl der Sicherheit, denn was wir aus Gewohnheit tun, tun wir in der Regel auch richtig. Und wenn wir etwas richtig machen, entsteht ein Wohlgefühl, weil unser Gehirn den Botenstoff Dopamin ausschüttet. Dieses Wohlgefühl führt dann zu dem Wunsch nach Wiederholung bzw. Beibehaltung der Vorgehens- oder Handlungsweise. Was auf der einen Seite gut ist, wird aber auf der anderen Seite zum großen Problem: Gewohnheiten begrenzen uns in unseren möglichen Handlungen, sie machen uns blind für neue Wege oder sie behindern uns in unserer Flexibilität.
Im Büro trinken wir immer aus derselben Kaffeetasse, und wenn diese Tasse bereits von einem Kollegen verwendet wird, reagieren wir schnell gereizt. Verändern sich Arbeitsabläufe, kommt bei vielen schnell Widerstand auf. Warum Dinge anders machen, es hat doch so auch immer funktioniert? Sind erst einmal ganze Abteilungen im Das-haben-wir-doch-immer-so-gemacht-Rausch, bleibt kaum Raum für Kreativität und innovative Ideen. Neue Mitarbeiter mit frischen Ideen werden unterdrückt, Vorschläge von externen Beratern werden als unbrauchbar heruntergespielt.
Eine Studie von IBM hat ergeben, dass rund 60% aller Changemangement-Projekte nicht oder nur teilweise erfolgreich umgesetzt werden. Die Hauptursachen hierfür sind innere Einstellungen und Denkweisen der Beteiligten. (3) Um solche Entwicklungen zu verhindern und dafür zu sorgen, dass erst gar keine Routinen, also Gewohnheiten aufkommen, wechselt z.B. die Deutsche Lufthansa regelmäßig die Zusammensetzung der Bordcrews. Andere Unternehmen haben gute Erfahrungen damit gemacht, dass sie ihre Führungskräfte ein so genanntes „Triple-Two-Programm“ durchlaufen lassen. Hierbei muss sich der Führungskräftenachwuchs zunächst in zwei verschiedenen Positionen an zwei verschiedenen Standorten bewähren, bevor er eine echte Chance bekommt. Solche und ähnliche Projekte haben durchaus ihre Berechtigung, denn sie verhindern unerwünschte Routinen und erhöhen die Flexibilität.
Wie man Gewohnheiten ändern kann
Der Psychologe Prof. Dr. Elliot Aronson lehrte u.a. an der Universität von Kalifornien in Santa Cruz und beschäftigt sich hauptsächlich mit der Frage, wie man bei Menschen Gewohnheiten ändern kann. Dass er auf diese Frage nicht nur theoretische Antworten hat, sondern auch praktische, konnte er an einer eigenen Erfahrung belegen. In seiner Zeit als Professor in Santa Cruz beobachtete Aronson, dass seine Studenten ein ziemlich lockeres und ungeschütztes Sexleben führten. Die Angst vor Aids war praktisch nicht vorhanden. Diese Beobachtung wurde dann durch eine Umfrage bestätigt, wonach nur 17% der Studenten geschützten Sex hatten. Aronson war besorgt über diesen Zustand, und so überlegte er, was er tun kann, um dies zu ändern. Im Prinzip gab es ja nur zwei Ansatzpunkte: Entweder bringt er die Studenten dazu, weniger Sex zu haben, oder er bringt die Studenten dazu, Kondome zu benutzen. Er entschied sich, über Lösungen für den zweiten Ansatzpunkt nachzudenken Seine Lösung war einfach und wirkungsvoll zugleich: Er machte die Studenten zu Botschaftern! So ließ er seine Studenten z.B. Videos drehen, die über die Gefahren von Aids aufklärten. Er ließ sie Vorträge halten und gab ihnen das Gefühl, dass sie durch diese Vorträge Leben retten könnten. Er entwickelte also eine Kampagne, bei der die Studenten eine Botschaft verkünden mussten, die sie selber nicht lebten.
Rein wissenschaftlich betrachtet, machte Aronson nichts anderes, als dass er bei seinen Studenten eine „kognitive Dissonanz“, also ein schlechtes Gewissen erzeugte. Sechs Monate später, als Aronson seine Probanden noch einmal interviewen ließ, stellte sich heraus, dass bis zu 70 Prozent der Studenten, die an seiner Kampagne teilnahmen, beim Sex Kondome benutzten.
Wie Gewohnheiten unsere Ziele beeinflussen
Dass Ziele im Leben etwas sehr Wichtiges sind, darüber sind sich die meisten Menschen einig. Dass sie dann aber auch der Meinung wären, dass sich ihr Verhalten an den Zielen orientiere, ist jedoch ein Trugschluss. Warum das so ist, können uns inzwischen interessante Studien belegen. Wir setzen uns z.B. das Ziel, fünf Kilogramm abzunehmen, und beschließen, ab sofort täglich 30 Minuten joggen zu gehen. Oder wir möchten uns gesünder ernähren und beschließen, ab sofort unsere Ernährung umzustellen. Die meisten Menschen denken, dass jetzt die Motivation ihres Verhaltens, also das Joggen oder die gesunde Ernährung, durch ihr Ziel bestimmt sei, abzunehmen oder sich gesünder zu ernähren. Zunächst trifft dies auch zu, aber je länger man dann joggt oder gesunde Nahrung zu sich nimmt, desto unwichtiger wird das ursprüngliche Ziel.
Im Jahre 2010 erforschte ein Team um die Gesundheitspsychologin Philippa Lally vom University College in London, wie wiederholtes Verhalten nach und nach zu einer Gewohnheit wird. (4) Zunächst mussten sich ca. einhundert Probanden etwas ausdenken, das sie sich gerne zur Gewohnheit machen möchten. Anschließend wurden die Probanden aufgefordert, dies rund 80 Tage lang zu tun. Um den Verlauf des Experimentes zu kontrollieren, trugen die Probanden täglich in einem Onlineprogramm ein, ob sie ihre Vorsätze eingehalten hatten, und auf einer Skala schätzten sie ein, wie routiniert ihnen ihr neues Verhalten inzwischen erschien. Wie erwartet wurden die zunächst bewusst durchgeführten Handlungen der Probanden immer mehr zur unbewussten Gewohnheit. Reicht aber die regelmäßige Wiederholung aus, um aus bewussten Handlungen dauerhafte Gewohnheiten zu machen? Dieser Frage wollen wir als nächstes nachgehen.
Gewohnheiten und assoziative Lernprozesse
Die meisten Psychologen gehen davon aus, dass Gewohnheiten auch durch assoziative Lernprozesse entstehen. Das bedeutet, dass Ereignisse, die räumlich und/oder zeitlich gemeinsam auftreten, durch Wiederholungen in der Erinnerung verknüpft werden. Tritt dann das räumliche oder zeitliche Ereignis ein, kommt es zur Handlung. Beispiele dafür sind die Zigarette zum Kaffee oder das Stück Kuchen um 15.00 Uhr. Hier sind es also Signale wie Kaffee oder die Uhrzeit, die das verinnerlichte Verhalten dann automatisch auslösen. Um diese Annahme zu bestätigen, befragten Wissenschaftler unter Leitung der Psychologin Wendy Wood von der Duke University Durham in North Carolina Studenten vor und nach dem Umzug in ein neues College über bestimmte Gewohnheiten. Gingen die Studenten an dem neuen College ihren alten Gewohnheiten weiterhin nach, oder führte die Ortsveränderung dazu, dass sich die alten Gewohnheiten verflüchtigten? (5) Die Vermutung der Wissenschaftler bestätigte sich, denn das neue Umfeld warf die Studenten tatsächlich aus der Bahn, wenn sich die Rahmenbedingungen stark verändert hatten. So hatten z.B. einige Studenten vor dem Umzug die Gewohnheit, an ihrer alten Uni das Fitnessstudio regelmäßig und meist zu einer bestimmten Uhrzeit zu besuchen. Fanden sie an der neuen Uni diese Möglichkeit nicht in ähnlicher Form vor, war es bald vorbei mit dem regelmäßigen Training.
Positive wie auch negative Gewohnheiten entstehen also zunächst durch regelmäßige Wiederholungen. Können sie dann aber nicht dauerhaft im Kontext, also z.B. mit den gleichen räumlichen oder zeitlichen Bedingungen durchgeführt werden, verblassen sie. Dies bestätigt auch ein Experiment aus dem Jahr 2009, das von einem Forscherteam um den Psychologen David Neal von der Duke University durchgeführt wurde. Auf einer Skala mussten die Probanden angeben, wie stark sie glaubten, dass ihr Verhalten, z.B. Sport Treiben, durch ihr Ziel, z.B. fünf Kilo abzunehmen, bestimmt sei. Das Ergebnis war mehr als interessant: Je fester ihre Gewohnheiten waren, desto mehr glaubten die Probanden, dass ihr Ziel sie dazu motiviere. Um zu beweisen, dass dies nicht stimmt, machten die Wissenschaftler folgendes: An Monitoren mussten die Probanden Wörter wie z.B. „Joggen“ oder „Obst“ von Pseudowörtern unterscheiden. Bevor diese Wörter erschienen, blitzten im Millisekundenbereich Begriffe auf, so dass sie von den Probanden gar nicht bewusst wahrgenommen werden konnten.
Wäre eine Gewohnheit wie z.B. gesunde Ernährung tatsächlich von dem Ziel, Gewicht zu verlieren, abhängig, dann müsste es im Gehirn der Probanden eine deutlich wirksame Verknüpfung zwischen Gewohnheit und Ziel geben. Ein unbewusst wahrgenommenes Wort wie z.B. „Gewichtsabnahme“ müsste das Erkennen des Wortes „Sport“ beschleunigen. Die Auswertung des Experiments ergab aber etwas völlig anderes: Nur aufblitzende Wörter, die unmittelbar mit Sport zu tun hatten, wie z.B. „Laufschuhe“ oder „Hantel“, führten bei den Probanden dazu, bei dem Wort „Sport“ schneller zu reagieren. Es war also offensichtlich, dass es in den Gehirnen der Probanden zwar eine starke Assoziation zwischen Laufschuhen und Sport gab, aber keine Assoziation mit den von ihnen selbst genannten Zielen. Dieses Experiment belegt, wie viele andere auch, dass unsere Gewohnheiten langfristig nichts mit unseren Zielen zu haben.
Quelle: AFNB Akademie für neurowissenschaftliches Bildungsmanagement
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