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Innere Stärke und Gelassenheit durch Achtsamkeit

von Jan 27, 2020Achtsamkeit

Besonders Stresssituationen verleiten dazu, in automatisierte Verhaltensschemata zu verfallen; man kann sich nicht mehr konzentrieren und keine klaren Gedanken fassen. Man reagiert, statt zu agieren. Man löst das Problem nicht, sondern man verändert es nur. Man wird unsicher, obwohl Selbstvertrauen wesentlich hilfreicher wäre. Achtsamkeit ist ein geistiger Zustand, der in solchen Situationen sehr hilfreich ist. Man kann Achtsamkeit erlernen, und die neurobiologische Forschung liefert immer genauere Belege und Erklärungsmodelle für die durch Achtsamkeit hervorgerufenen Wirkungen. Im Zeitalter der ständigen Erreichbarkeit verweilen die Gedanken nur noch selten dort, wo sich auch der Körper auf-hält. An das Hier und Jetzt können nur wenige denken und sich selbst im Hier und Jetzt zu spüren und wahrzunehmen gelingt noch weniger Menschen. Statt agieren zu können muss man ständig reagieren und den meisten gelingt es nur für kurze Zeit, sich auf ein Objekt zu konzentrieren. Denken und Fühlen werden einem Autopiloten überlassen, einem etablierten System, das zwar zu funktionieren scheint, uns aber daran hindert, den Augenblick bewusst wahrnehmen zu können, ehe eine Situation bewertet und eine Entscheidung gefällt wird. Die Konsequenzen eines solchen Automatismus sind vielfältig und wiegen unterschiedlich schwer. 

Wenn wir am Ende einer Buchseite angekommen sind und uns auffällt, dass wir den Inhalt dieser Seite gar nicht richtig gelesen haben und daher auch nicht wissen, was auf dieser Seite steht, ist dies zwar lästig, aber nicht dramatisch. Gefährlicher ist es, wenn wir unseren Wagen nach der Heimfahrt in die Tiefgarage stellen und uns auffällt, dass wir uns an die letzten paar hundert Meter nicht richtig erinnern können, da wir sie nicht bewusst wahrgenommen haben. Das ist der Grund dafür, dass überdurchschnittlich viele Unfälle auf dem Weg von der Arbeit nach Hause geschehen.

Noch dramatischer fällt die Wirkung des Autopiloten aus, wenn Ängste, Nöte und Sorgen unkontrolliert so lange in unseren grüblerischen Gedanken kreisen, bis sich daraus eine Depression entwickelt. Unachtsamkeit kann psychische Beschwerden und Erkrankungen hervorrufen. Der Begriff Achtsamkeit bezeichnet die Fähigkeit, seine Aufmerksamkeit bewusst auf den Augenblick lenken und halten zu können, ohne dabei die eigenen Wahrnehmungen zu bewerten. Auf diese Weise können gekoppelte und automatisierte Prozesse entkoppelt, neu betrachtet, neu bewertet und neu justiert werden.

Der Begriff Achtsamkeit entstammt dem Buddhismus. In einigen der wichtigsten Schriften dieser Religion, der Sati­patthana Sutra und der Anapanasati Sutra, erläutert der historische Buddha die Auswirkungen der Achtsamkeit, ihre Rolle bei der Erlangung von Weisheit sowie die Kultivierung der Achtsamkeit. In der westlichen Welt hat der Begriff verschiedene Defini­tionen erfahren. Die in der Fachliteratur am häufigsten verwendete Besch­reibung stammt von amerikanischen Biologen und Mediziner Jon Kabat-Zinn (1). Er bezeichnet Achtsamkeit als einen Zustand, der entsteht, wenn die Aufmerksamkeit bewusst und vollkommen auf das Hier und Jetzt, auf den gegenwärtigen Moment gerichtet wird, ohne die dabei gemachten Erfahrungen zu bewerten oder emotional darauf zu reagieren.

Eine andere Beschreibung ist das handlungsorientierte, operationale Modell von Scott Bishop und seinen kana­dischen Mitarbeitern (2). Sie schlagen ein Zwei-Komponen­ten-Modell vor, bestehend aus der Selbstregulation der Aufmerksamkeit und als zweite Komponente die innere Haltung, mit der man den durch die Aufmerksamkeit ge­machten Erfahrungen begegnet. Da die erste Beschreibung ein Erklärungskonzept und die zweite ein Wirkungskonzept darstellt, ergänzen sich diese Ansätze eher als dass sie sich widersprechen.Neben diesen beiden existieren noch einige andere Er­klärungsmodelle, unter anderem eines, das einen kulturhis­torischen Schwerpunkt setzt. Für unser Thema reicht jedoch die erstgenannte Definition von Kabat-Zinn vollkommen aus – zudem es das von Neu­ropsychologen bevorzugte Modell ist. Achtsamkeit ist demnach ein geistiger Zustand, bei dem die Aufmerksamkeit auf den Moment konzentriert ist, ohne die dabei entstehenden Erfahrungen zu bewerten. Psychologen haben errechnet, dass wir fast die Hälfte unse­rer Wachzeit mit unseren Gedanken unwillentlich abschweifen, unsere Konzentration also nicht lange auf ein Objekt fokussieren können. Diese Unkonzentriertheit kann weitreichende Konsequenzen haben: Unser Leistungsvermögen sinkt beträchtlich. Besonders, wenn schnelle Entscheidungen gefällt und fol­genreiche Handlungen durchgeführt werden sollen, kann diese Unfähigkeit sehr gefährliche Folgen haben. Unkonzentriertheit kann auch zum Gefühl der Überforderung und zu psychischem Dauerstress führen – typische Reaktio­nen darauf, dass man den Überblick verloren hat und die Aufgaben und Anforderungen nicht mehr entsprechend ihrer Dringlichkeit und Wichtigkeit einschätzen und sortieren kann. Man beginnt, übermäßig über seine Ängste und Sorgen zu grübeln – von Medizinern als Ruminieren bezeichnet. Und wer sich aus diesem gedanklichen Sog nicht mehr selbst befreien kann, wer sein aus diesem Dilemma entstandenes Minderwertigkeitsgefühl nicht aus eigener Kraft wieder zu einem positiven Selbstwertgefühl aufbauen kann, der läuft Gefahr, eine Depression zu entwickeln.

Achtsamkeit, die Fähigkeit, seine Wahrnehmungen vorurteilsfrei auf den Augenblick zu lenken, hat intensive Auswir­kungen auf zwei grundlegende Prozesse unseres Bewusstseins, nämlich auf die Aufmerksamkeit und auf die Bewusstheit. Daher dürfen Achtsamkeit und Aufmerk­samkeit, auch wenn beide geistige Zustände darstellen, nicht miteinander verwechselt werden. Auch wenn der Begriff samt Beschreibung und Wirkungser­klärung seinen Ursprung in einer fernöstlichen Religion hat, so ist Achtsamkeit dennoch kein religiöses Konzept. Auch die Methode, mittels derer Achtsamkeit für den Alltag trai­niert werden kann, ist unabhängig von jeglicher Religion. Bei dieser Trainingsmethode handelt es sich um bestimmte Meditationsübungen. Im Verlauf der letzten Jahre hat sich gezeigt, dass sich die trainingsbasierte Stärkung der Auf­merksamkeit bei vielen Menschen, besonders solchen mit psychologischen und psychosomatischen Problemen und Erkrankungen, als sehr hilfreich erweist.

Wenn also der Autopilot eine Situation automatisch bewertet und mit einer auf diese Bewertung zugeschnittenen automatischen Entscheidung oder Reaktion antwortet, so kann mittels der Fähigkeit zur Achtsamkeit dem Autopiloten die Kontrolle über diese Reaktionskette entzogen werden und wir können uns über die einzelnen Komponenten dieser Kaskade bewusst werden und sie selbst lenken. Achtsamkeit kann man trainieren, und darin geübte Menschen finden zu innerer Ruhe, Stärke und Gelassenheit. Denn Achtsamkeitstraining verbessert die Fähigkeit sowohl zur Aufmerksamkeits- als auch zur Emotionsregulation. Erst seit einigen Jahren beginnt man zu entdecken, welche Veränderungen im Gehirn während des Trainings stattfinden, und man beginnt auf Grund dieser Befunde auch zu verstehen, wie sowohl Achtsamkeitstraining als auch die Fähigkeit zur Achtsamkeit im Gehirn funktionieren.

Quelle: AFNB Akademie für neurowissenschaftliches Bildungsmanagement

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