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Meditationen zur Erweiterung des Bewusstseins

von Jan 4, 2020Achtsamkeit

Meditationen werden seit Jahrhunderten in verschiedenen Kulturen praktiziert, als Weg zur Bewusstseinserweiterung, zur Heilung oder zur Selbsterkenntnis. Als Definition für den Begriff Meditation bietet sich eine Bes­chreibung an, die mehrere verschiedene Ansätze in sich vereint: Der Begriff Meditation bezieht sich auf eine Ansam­mlung von Selbstregulations-Praktiken, die das Training von Aufmerksamkeit (im englischen: attention) und von Gewahr­sein (im englischen: awareness) in den Mittelpunkt rücken, um mentale Prozesse unter größere willentliche Kontrolle zu bringen und dabei generelles geistiges Wohlbefinden und geistige Entwicklung sowie spezifische Fähigkeiten wie Ruhe, Klarheit und Konzentration zu fördern. Entscheidend für unseren Themenzusammenhang ist, dass Meditationspraktiken als Form mentalen Trainings zu verstehen sind, die Auswirkungen auf kognitive und emotio­nale Fertigkeiten haben.

In jüngster Zeit wurden entsprechende neurobiologische Nachweise dafür erbracht, dass sich derartige Veränderun­gen auch als Veränderungen von Hirnfunktionen und Hirns­trukturen manifestieren. Meditation und Neurobiologie erweisen sich als zwei Seiten einer Medaille. Daher überrascht es nicht, dass auch der Dalai Lama sein deutliches Interesse an Neurowissenschaften bekundet hat. Seit den 1950er Jahren werden Meditationen und ihre Wir­kungen wissenschaftlich untersucht. Allerdings weisen die frühen empirischen Untersuchungen häufig fachliche Mängel auf. Heutzutage sind die Untersuchungsmethoden und Forschungsdesigns exakter und seriöser, auch wenn noch immer viele Fragen unbeantwortet sind. Sicher ist jedenfalls, dass Meditationen nachweislich verschiedene psychische, neurobiologische und stoffwechselphysiologische Prozesse in Gang setzten können. Daher werden bestimmte Meditationsübungen auch von Medizinern zu therapeutischen Zwecken eingesetzt, um bestimmte psychische und psychosomatische Erkrankungen zu heilen bzw. deren Heilungsprozess zu unterstützten. Der Sinn von Meditationsübungen liegt nämlich nicht im Selbstzweck, sondern darin, ihre nachhaltigen Wirkungen im Lebensalltag zu entfalten. Bereits der Religionsbegründer Buddha Siddharta Gautama, der vermutlich von 563 bis 483 vor unserer Zeitrechnung lebte, empfahl bestimmte Medita­tionen zur Stärkung der Achtsamkeit, und diese damit ver­bundenen Fähigkeiten dann in den Lebensalltag zu integrie­ren.

Das erste wissenschaftsbasierte Meditationsprogramm zur Stärkung der Achtsamkeit entwickelte Jon Kabat-Zinn Ende der 1970er Jahre. Die Ergebnisse eigener Meditations­forschungen kombinierte er mit Elementen der Kognitionst­herapie und kreierte daraus ein achtwöchiges Anti-Stress-Programm namens Mindfulness-Based Stress Reduction, kurz MBSR, oder auf deutsch: achtsamkeitsbasierte Stress­bewältigung. Sein Ziel war nicht, die Zahl der Stressfaktoren zu verrin­gern, sondern den Umgang mit den Stressfaktoren, die Wahrnehmung der Stressfaktoren so zu verändern, dass sie ihre negativen Wirkungen verlieren. Es geht nämlich bei dem Thema Achtsamkeit grundsätzlich nicht darum, etwas zu beseitigen, sondern zunächst darum, Dinge und Situationen so zu akzeptieren, wie sie sind. Inzwischen gibt es zahlreiche weitere Psychotherapiekon­zepte, die auf bestimmte Erkrankungsformen zugeschnitten sind, so zum Beipiel die Mindfulness-Based Cognitive The­rapy oder MBCT, durch die ein Rückfall in die Depression verhindert werden soll, die Dialectical Behaviour Therapy, kurz DBT, die bei Borderline-Störungen eingesetzt wird, und achtsamkeitsbasierte Ansätze zur Behandlung von Drogen-, Nikotin- und anderen Abhängigkeiten. Seit einigen Jahren sind Achtsamkeitsmeditationen recht populär geworden und werden von zahlreichen Therapeuten angeboten. Bei der MBSR und verwandten Konzepten wer­den Gruppen- und täglich zu absolvierende Einzelübungen miteinander kombiniert. Hier sind vier typischen Basisübungen zum täglichen Achtsamkeitstraining; wichtig ist bei allen Übungen, nichts zu verdrängen, sondern zuzulassen, wahrzunehmen und dabei nichts zu bewerten.​

1. Der Body-Scan

Man legt sich rücklings auf eine bequeme Decke, die Augen geschlossen, die Arme neben den Körper und die Beine bequem ausgestreckt. Der Aufmerksamkeitsfocus wandert nun sukzessiv durch den Körper, angefangen bei den Füßen, erst der rechte, dann der linke.​

Wie fühlt sich das an?

Kann ich überhaupt mein Knie spüren?

Passiert da gerade etwas in meinem Magen?

Zuckt gerade ein Muskel in meiner linken Hand?

Kann ich fühlen, wie warm mein rechtes Ohr ist?​

Diese tägliche Übung verhilft dazu, das Gefühl für den eige­nen Körper zu entwickeln und zu stärken. Dadurch, dass die meisten Menschen einen – sozusagen – immobilisierten Beruf haben, sich also während ihrer Arbeit kaum bewegen, verliert man das Empfinden für den eigenen Organismus. Der Body-Scan verhilft nach und nach zu einer intensiven Körperwahrnehmung. Man fühlt sich wieder im eigenen Körper zu Hause, man lernt, seinem Körper wieder zu ver­trauen. Allerdings wird man gerade zu Beginn des Meditationstrai­nings auch merken, wie schwer es ist, seine Gedanken nicht abschweifen zu lassen.​

2. Alltagshandlungen

Unser Alltag besteht zu einem überragenden Teil aus Routi­nehandlungen wie Trinken, Essen, Laufen, Fahren, Bügeln, Zähneputzen, Hinsetzen, Aufstehen, Lesen, Einkaufen, Duschen, Anziehen, Schuhe binden, Jacke aufhängen, Türen öffnen und so weiter. Wählen Sie sich bewusst eine dieser Handlungsabläufe aus, zum Beispiel ein Glas Wasser trinken. Führen Sie jeden einzelnen Schritt langsam aus und kon­zentrieren Sie sich auf Ihre Wahrnehmungen. Wie schwer ist das Glas? Wie weit öffne ich meinen Mund? Wie kalt ist das Wasser? Wie schmeckt das Wasser? Diese Übung, die detaillierte Beobachtung alltäglicher Situa­tionen, führt zu einer deutlich intensiveren Wahrnehmung all dessen, was wir auf Grund von Gewohnheitsmustern gar nicht mehr oder kaum noch bewusst wahrnehmen. Missgeschicke und Unglücke passieren einem nur selten bei neuen Handlungsabläufen, sondern fast immer bei automa­tisierten Abfolgen. Diese Übung ist übrigens Bestandteil der klassischen Schauspielausbildung, denn ein Schauspieler muss ganz genau wissen, was er auf der Bühne oder vor der Kamera tut. Außerdem muss ein Schauspieler, ehe er in der Lage ist, überzeugend eine andere Person zu spielen, erst einmal genau wissen, was er selbst für eine Person ist.​

3. Minuten-Achtsamkeit

Diese Übung ist vergleichbar mit der vorherigen, nur dass es hier nicht um eine spezielle Handlungsabfolge geht, sondern um eine beliebige Situation. In der ersten Phase soll drei Mal am Tag für jeweils eine Minute die Gesamtsituation und die eigene Person bewusst wahrgenommen werden.In einer späteren Phase soll man für jeweils drei Minuten am Vor- und am Nachmittag besonders achtsam sein.​

4. Sitz- oder Atemmeditation

Diese Übung sollte 10 bis 15 Minuten dauern. Setzen Sie sich aufrecht und legen Sie Ihre Hände locker auf die Oberschenkel. Wenn Sie das Gefühl haben, sicher und stabil zu sitzen, schließen Sie die Augen. Konzentrieren Sie sich nun auf Ihren Atem. Folgen Sie ihm durch den Körper. Spüren Sie, wie sich der Brustkorb hebt und senkt. Spüren Sie, wie die Luft durch Ihre Nase und den Rachen strömt. Konzentrieren Sie sich auf eine beliebige Körperstelle und stellen sich vor, durch diese Stelle auszuatmen. Richten Sie Ihre ganze Aufmerksamkeit auf diese Kör­perstelle. Nun konzentrieren Sie sich wieder auf Ihren Atem und die Bewegungen Ihres Oberkörpers. Stellen Sie sich nun Ihren Geist als einen blauen, hellen, offenen Himmel vor und Ihre Gedanken und Empfindungen als vorüberziehende Wolken. Konzentrieren Sie sich erneut nur auf Ihren Atem und achten Sie nun auf die sich verändernden Geräusche, Gerüche und den Luftzug. Öffnen Sie die Augen wieder.

Die eben beschriebenen und ähnliche Übungen verhelfen zu einer konkreteren Wahrnehmung und zu einem präziseren Körperbewusstsein und Körperempfinden. Achtsamkeitsmeditationen verschieben die geistige Pers­pektive auf das eigene Ich, so dass man in der Lage ist, seine Gedanken und Gefühle mit einem gewissen Abstand zu betrachten. Es fällt leichter, mit Stress, Ängsten und negativen Gefühlen wie Trübsinn oder Minderwertigkeit umzugehen. Besonders durch die Erforschung von Therapiewirkungen bei verschie­denen Patientengruppen konnten erstaunliche Wirk­samkeitserfolge nachgewiesen werden. Paul Grossman und seine inzwischen verstorbene Frau Ulrike Kesper-Grossman haben auf diesem Gebiet Pionie­rarbeit geleistet und haben 2011 das Europäische Zentrum für Achtsamkeit in Freiburg begründet. Eines der wichtigsten Resultate ihrer Forschung ist, dass die durch Achtsamkeitstraining verstärkte Eigenwahrnehmung auch die Selbstwirksamkeit steigert. Damit ist gemeint, dass die Stärke der eigenen Überze­ugung, das Leben selbst beeinflussen zu können, zunimmt, und gleichzeitig der Eindruck, nur Opfer unveränderbarer Umstände zu sein, deutlich abnimmt. Achtsamkeit stärkt also das Selbstvertrauen und das Selbstwertgefühl.Shauna Shapiro und ihre Kollegen prägten 2006 den Begriff reperceiving, Neu-Wahrnehmen, als eine Wirkungsweise der Achtsamkeit. Ihrer Ansicht nach wird es durch den Prozess der Achtsamkeit möglich, sich von der Identifikation mit Gedan­ken und Emotionen zu lösen. Damit wird es dem Betroffenen möglich, distanziert und reflektiert mit einer Situation umzugehen, anstatt reflexhaft darauf zu reagieren. Und als Resultate können dann größere Objektivität und Klarheit entstehen.

​ Spätestens seit dem Jahr 2004 werden nicht nur psychische sondern auch neurologische Wirkungen der Achtsamkeits­meditationen ergründet. In diesem Jahr erschien nämlich eine Arbeit über eine spektakuläre Untersuchung einiger tibetischer Meditieren­der, deren EEGs während der Meditation eine außer­gewöhnlich hohe Amplitude und Synchronisierung im Gamma-Frequenzbereich aufwiesen. Inzwischen liegen zahlreiche Daten vor, die belegen, dass Meditation sowohl bestimmte Funktionen als auch be-stimmte Strukturen des Gehirns verändern. Die deutschen Neuropsychologen Britta Hölzel und Ulrich Ott stellten 2011 ein Klassifikationsschema für die verschie­denen Wirkmechanismen der Achtsamkeit auf, das inzwischen von der Forschergemeinde anerkannt ist und auf seine Tragfähigkeit hin überprüft wurde. Nach diesem System wirkt Achtsamkeit auf die Regulation der Aufmerksamkeit, auf das Körperbewusstsein, die Emo­tionsregulation und auf die Selbstwahrnehmung. Dieses Klassifikationssystem kann auch verstanden werden als eine vierstufige Pyramide, die man mit zunehmender Meditationspraxis durchläuft. Je länger man trainiert, desto mehr Fähigkeiten erlangt man. 

Quelle: AFNB Akademie für neurowissenschaftliches Bildungsmanagement

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